80. Jahrestag der Krätzbach-Katastrophe
FULDA, 27. DEZEMBER 2024: Mit einer Veranstaltung am Gedenkstein in der Mehlerstraße haben Vertreter und Vertreterinnen der Stadt Fulda, der städtischen Gremien, der Kirchen und der Firma Mehler sowie zahlreiche Bürgerinnen und Bürger der Opfer des Bombenangriffs genau 80 Jahre zuvor, am 27. Dezember 1944, gedacht.
An diesem Tag starben im sogenannten „Krätzbach-Bunker“ 707 Menschen, darunter 242 mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die als Zwangsarbeiter in der Firma Mehler eingesetzt waren. „Das Sterben in dem sogenannten Krätzbachbunker war nicht nur eine Katastrophe für Fulda und die Region, sondern der größte Massentod in einer einzelnen Luftschutzeinrichtung im damaligen Deutschland“, erklärte Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld. „Nur einige wenige von uns, die heute hier versammelt sind, haben die damaligen schrecklichen Ereignisse selbst miterlebt. Mit jedem Jahr des zeitlichen Abstandes wird die Zahl der Zeitzeugen geringer. Umso wichtiger ist es, diese dunklen Stunden der Fuldaer Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und die Opfer in Erinnerung zu rufen.“
Hintergrund: Die Krätzbach-Katastrophe
Fulda spielte eine Sonderrolle im Bombenkrieg des Zweiten Weltkrieges. Und zwar, wenn man sich die erschreckenden Zahlen vor Augen hält: Fulda hatte damals 34.000 Einwohner und zählte 1620 Luftkriegstote beziehungsweise Bombenopfer. Das bedeutet, das Verhältnis zwischen Stadtgröße und Bombenopfern war ein Besonderes: 3,1 Prozent der Bevölkerung Fuldas starben durch den Luftkrieg. Zum Vergleich: Hamburg z.B. hatte einen Prozentwert von 2,8, wobei natürlich die Einwohnerzahl sehr viel höher war. Es gab gleichwohl nur wenige Städte in Deutschland, die eine höhere Relation zwischen Einwohnerzahl und Bombenopfern hatte als Fulda. Wenn man auf die Ursachen schaut, fällt schnell der Begriff der Katastrophe im Krätzbachtunnel: Allein 707 Tote gab es dort beim Angriff vom 27. Dezember 1944 zu beklagen – es war die größte Zahl an Menschen, die während des gesamten Krieges in Deutschland in einer einzelnen Luftschutzeinrichtung den Tod fand. In dieser Hinsicht nimmt Fulda eine traurige Ausnahmestellung ein
Aber um was genau handelte es sich eigentlich bei diesem „Bunker“? Im Prinzip war er nicht mehr als ein verstärkter Wasserdurchlass für den Krätzbach, der noch etwa heute nahe dem alten Lokschuppen auf etwa 400 Metern Länge die Gleisanlagen unterquert. Die Schutzeinrichtung war aus der Not geboren: 1941 musste die Firma Mehler für ihre Beschäftigten, deren Zahl damals nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in die Tausende ging, eine Schutzeinrichtung einrichten. Im selben Jahr prüfte eine Kommission den Bachdurchlass auf seine Tauglichkeit als Luftschutzeinrichtung. Das Urteil fiel positiv aus, denn der Bachlauf besaß eine mehrere Meter dicke Erdabdeckung, zwei Ein-/Ausgänge und eine Betondecke. Diese war allerdings sehr dünn. Trotzdem genügte der Wasserdurchlass den Anforderungen, er wurde behelfsmäßig zu einer Luftschutzeinrichtung ausgebaut. Doch im Ernstfall bot dieser Bunker keinen Schutz – er wurde vielmehr zur tödlichen Falle.
Am 27. Dezember 1944 begann gegen 12.37 Uhr der Angriff auf den Verschiebebahnhof. Zwei Bomben verschütteten den westlichen Tunneleingang, zwei weitere drücken in etwa 160 Metern Entfernung davon die Decke des Tunnelbauwerks ein – Hunderte Menschen waren eingeschlossen. Verzweifelt versuchten sie, mit den im Bunker vorhandenen Werkzeugen sich zu befreien, was sich aber als aussichtslos erwies, weil das aufgeschüttete Material des Bahndamms immer wieder nachrutschte. Mit denselben Problemen hatten auch die Retter zu kämpfen, die von Osten her verzweifelt versuchten, eine Röhre zu den Verschütteten zu graben. Doch nur rund 150 Menschen konnten gerettet werden. Viele der Opfer, vor allem auch die rund 250 getöteten ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, haben ihre letzte Ruhestätte am Fuldaer Zentralfriedhof gefunden.
Im vergangenen Jahr hatten Schülerinnen und Schüler der Richard-Müller-Schule in einem Projekt in Kooperation mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der Katholischen Akademie im Bistum Fulda sowie dem Rotary-Club Fulda die Gräber der Opfer am Zentralfriedhof wieder freigelegt, die Geschichten der Toten recherchiert und auf diese Weise mit dazu beigetragen, dass die Opfer der Krätzbach-Katastrophe nicht in Vergessenheit geraten.
Weiterführende Literatur: Günter Sagan: Fulda 1944 – Die Katastrophe im Krätzbachbunker, Verlag Michael Imhof, Petersberg.